»Merkels Schwenk in der Atompolitik ist eine Megalüge«
Nur eines der sieben AKW wurde tatsächlich vom Netz genommen – die anderen sind außer Betrieb oder in Revision. Gespräch mit Felix Ruwe
Interview: Peter Wolter
Felix Ruwe ist Sprecher der Bürgerinitiative »Kein Atommüll in Ahaus e.V.«
Auch im westfälischen Ahaus gibt es seit Jahren erheblichen Widerstand gegen die Atompolitik – dort steht immerhin ein riesiges Zwischenlager für Nuklearmüll. Müßte Ihre Bürgerinitiative nicht jubilieren, nachdem die Bundesregierung sieben Atomkraftwerke (AKW) vorläufig vom Netz genommen hat?
Wir jubilieren keineswegs, vor allem auch deswegen nicht, weil wir sehen, was zur Zeit in Japan los ist. Hier in Ahaus befassen wir uns seit 33 Jahren mit diesem Thema – wir stehen also gut im Stoff und wissen genau, was auf die Menschen zukommt.
Aber wie werten Sie denn die Entscheidung, diese Kraftwerke vorläufig stillzulegen?
Dieser Schwenk in der Atompolitik ist eine Megalüge, ein großer Bluff, mit dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Umweltminister Norbert Röttgen enorm blamieren. Tatsächlich ist nämlich mit Isar 1 nur ein einziges Kraftwerk vom Netz gegangen. Ein weiteres wurde vorzeitig in Revision geschickt – das war’s auch schon.
Die AKW Krümmel und Brunsbüttel sind sowieso seit längerem außer Betrieb. Biblis A wäre planmäßig im Juni für acht Monate vom Netz gegangen, das geschieht jetzt drei Monate eher. Biblis B und Philippsburg 1 stehen seit dem 28. bzw. seit dem 19. Februar still. Neckarwestheim 1 war bis vor wenigen Tagen ebenfalls monatelang in Revision, ist also vor dem Stopp höchstens kurz angefahren worden
Gut zwei Drittel aller Deutschen meinen, diese Entscheidung sei lediglich ein Wahlkampfmanöver von Union und FDP, um für die Landtagswahlen Punkte zu sammeln. Was steckt Ihrer Ansicht nach dahinter?
Auch für uns ist das in erster Linie ein billiges Manöver – Motto: Aussitzen statt Aussetzen. Das gilt nicht nur für die Wahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, sondern auch für Nordrhein-Westfalen. Die Landes-CDU strebt nach dem Scheitern des Nachtragshaushaltes der NRW-Regierung zum 17. Juli Neuwahlen an – und wie heißt der Vorsitzende der Landes-CDU? Röttgen. Der Mann ist ganz offenkundig ein Vasall der Energiewirtschaft. Ich finde, auch die Medien haben sich mit ihrer oberflächlichen und unkritischen Berichterstattung blamiert. Mit ein paar Klicks hätten die Redaktionen im Internet herausfinden können, welche AKW ohnehin stillstehen und welche wie lange in Revision sind. Auch die Oppositionparteien haben geschlafen – SPD, Grüne und Linke hätten das bei der Debatte zu Merkels Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag ansprechen müssen.
Das Unverschämteste ist jetzt aber, daß die Energiekonzerne androhen, aufgrund von Merkels Entscheidung die Strompreise zu erhöhen. Die sieben AKW sind, wie man unschwer erkennen kann, ohnehin überflüssig – auch ohne sie haben wir in Deutschland immer noch eine Überproduktion von Strom in der Größenordnung von zwei Terawattstunden. Die Strompreise müßten also eher sinken, wenn diese sieben Kraftwerke nicht mehr gewartet werden müssen. Das, was sich die Betreiber da leisten, ist eine Dreistigkeit sondergleichen.
Gegen das Zwischenlager gibt es auch heute noch regelmäßig Demonstrationen. Wie reagiert die eher bedächtige Ahauser Bevölkerung auf die Katastrophe in Japan?
Ich will niemandem unterstellen, daß ihn die Berichte darüber nicht bedrücken. Aber die Stimmung ist wohl eher zwiegespalten. Der lokale CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn z. B. macht zur Zeit mit übler Demagogie Stimmung. Er warnt vor der Abschaltung von AKW mit der Behauptung, dann müsse das Ahauser Zwischenlager noch mehr Atommüll aufnehmen. Das ist aber blanker Unsinn, die Rückbauvorschriften für aufgegebene AKW sehen nämlich vor, daß die Brennelemente im kraftwerkseigenen Zwischenlager und der schwachradioaktive Müll so lange im Maschinenhaus bleiben müssen, bis es dafür ein Endlager gibt.
Gibt es in Ahaus angesichts der Katastrophe in Japan mehr Proteste?
Wir haben schon mehrere spontane Demonstrationen auf die Beine gestellt. Am heutigen Samstag haben wir in der Innenstadt einen Infostand, am Sonntag findet wieder unser traditioneller Sonntagsspaziergang gegen die Atompolitik statt. Wir rechnen mit einigen hundert Teilnehmern.
Quelle: junge Welt