Erwerbsminderungsrente und Verweigerung der Heilbehandlung
28. September 2011 | Sozialrecht
Wird eine
zumutbare Heilbehandlung durch den Betroffenen verweigert, besteht kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Das Sozialgericht Freiburg entschied in dem konkreten Fall, dass der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei.
Voll erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI ist teilweise erwerbsgemindert, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI schließlich nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitsmarktlage mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Der Kläger ist nach der Überzeugung des Sozialgerichts Freiburg in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Diese Überzeugung stützt das Gericht auf die eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsgutachten.
Die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen orthopädischer und internistischer Genese (wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorwölbung L5/S1 in Kombination mit leichtem Verschleiß und unspezifisches Schulter-Arm-Syndrom links sowie obstruktives Schlafapnoe-Syndrom bei Inakzeptanz der CPAP-Maske, substituierte Hashimoto-Thyreoiditis und behandelter Bluthochdruck ohne Folgeschäden) bedingen jeweils für sich genommen und auch zusammengenommen zwar qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Ihre diesbezügliche Überzeugung stützt das Gericht auf die Verwaltungsgutachten von Dr. R. und Dr. C., in denen schlüssig, nachvollziehbar und daher überzeugend dargelegt wird, dass der Kläger unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen noch regelmäßig einer Erwerbstätigkeit in einem quantitativen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nachgehen kann. Rentenrechtlich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit sind danach nicht gegeben.
Gestützt wird dieses Ergebnis auf orthopädischem Gebiet durch die sachverständige Zeugenauskunft des behandelnden Orthopäden, der darin ebenfalls ein sechsstündiges Leistungsvermögen bejaht. Auf internistischem Gebiet bestätigt der behandelnde Kardiologe in seiner sachverständigen Zeugenauskunft, dass kein Grund für eine körperliche Einschränkung der Erwerbstätigkeit in vollem Umfang bestehe. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft des Hausarztes folgen demgegenüber keine schwerwiegenderen Befunde, die eine Abweichung von den fachärztlichen Beurteilungen begründen würden. Der Hausarzt hält zudem eine leichte körperliche Tätigkeit „für wenige Stunden pro Tag“ für möglich, eine Verwendung des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt scheine lediglich „eher unwahrscheinlich“. Diese Auskunft begründet weder den Nachweis einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit noch Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. Im Übrigen soll der Schwerpunkt der Beeinträchtigung nach der sachverständigen Zeugenauskunft des behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Arztes auf dem Gebiet der Schlafapnoe liegen.
Die auch vom Kläger insbesondere geltend gemachte „sehr starke und schwerwiegende Erschöpfungssymptomatik im Zusammenhang mit dem nicht ausreichend behandelbaren Schlafapnoe-Syndrom“ begründet jedoch ebenfalls keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, selbst wenn man als wahr unterstellt, dass der Kläger – wovon die Kammer nicht überzeugt ist – aufgrund der Schlafapnoe in seiner quantitativen Erwerbsfähigkeit in rentenrechtlich relevantem Maß eingeschränkt ist. Denn der durch diese Erkrankung bedingte Zustand kann nicht als dauerhaft angesehen werden.
So berichtet ein sachverständiger Arzt in seiner Zeugenauskunft, dass die Schlafapnoe-Erkrankung mit einer Maskentherapie gut behandelbar ist, wie die polygrafisch nachgewiesene sehr gute Atemsituation des Klägers unter Maskentherapie im Schlaflabor zeigt. Er schließt zudem nachvollziehbar auf ein sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers. Erst Dr. St. berichtet in seiner sachverständigen Zeugenauskunft, dass der Kläger nur unter dreistündig leistungsfähig sei, wenn die Schlafapnoe unbehandelt bliebe. Die Maskentherapie über eine Nasenmaske zeigte zwar in einem erneuten Aufenthalt im Schlaflabor wiederum eine messtechnisch gute Einstellung, allerdings lehnte der Kläger den bei diesem System üblicherweise zu verwendenden Luftbefeuchter ab, was in der Folge zu stark behinderter Nasenatmung führte. In einem weiteren Schlaflaboraufenthalt wurde beim Kläger dann eine Therapie mit einer Vollmaske (Mund und Nase) ausprobiert. Das Ergebnis benennt Dr. St. als „objektivierbar in Ordnung“ mit einer Schlafeffizienz von 81 % bzw. 96 %. Im krassen Gegensatz dazu habe der Kläger die Schlafqualität als extrem schlecht empfunden und jeden weiteren Therapieversuch mit der Begründung abgelehnt, dass er wisse, dass es nicht klappen werde.
Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass noch erfolgversprechende Therapiemöglichkeiten bestehen, die bislang nicht ausgeschöpft sind. So kann der Kläger die Vollmaske zunächst mehrere Wochen zu Hause ausprobieren, weil dann mit einem Gewöhnungseffekt und besserer Akzeptanz zu rechnen ist. Diese naheliegende Möglichkeit verweigert der Kläger aber mit einer nicht nachvollziehbaren Begründung.
Diese Verweigerung einer Heilbehandlung verhindert zusätzlich einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Denn nach § 63 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) soll sich, wer wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustands herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird. Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit beantragt oder erhält, dieser Mitwirkungspflicht nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass deshalb die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 2 SGB I die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Die Therapie mit einer Vollmaske ist auch unter Berücksichtigung der Grenzen der Mitwirkung nach § 65 SGB I eine zumutbare Heilbehandlung, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers verbessern würde. Wenn der Kläger demgegenüber bereits im Vorfeld mitteilt, dass er sich einer solchen Heilbehandlung keinesfalls unterziehen wird, ist das Gericht gehindert, eine Erwerbsminderungsrente zuzusprechen, die von der Verwaltung zu versagen oder jedenfalls sogleich wieder zu entziehen wäre. Denn auch im Sozialrecht gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass arglistig handelt, wer fordert, was sofort zurückzugeben ist (dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est). Ein solcher auf Arglist beruhender Anspruch ist deshalb von vornherein nicht zu erfüllen.
Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung des Klägers besteht somit nicht. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI scheidet aus, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist.
Sozialgericht Freiburg, Urteil vom 8. Juni 2011 – S 6 R 595/10
Quelle: Rechtslupe